Was passiert, wenn nichts passiert?

Achtsamkeit in der Businesswelt – Reflexion eines Trends
von Franziska Ziegler, 11. August 2015

Achtsamkeit in der Businesswelt

«Glück» – das war das Motto des diesjährigen Kongresses für Familienunternehmer an der Universität Witten/Herdecke. In den Keynotes und Workshops begegneten mir erstaunlich häufig die Stichworte Meditation und Achtsamkeit. Diese Begriffe, die ich bis anhin im Umfeld von Buddhismus und persönlicher Spiritualität verortete und denen man vor einigen Jahren noch mit reichlich Skepsis gegenüberstand, haben offenbar in die Unternehmerwelt Einzug gehalten.

Buddhistische Mönche tun es seit Jahrhunderten, die Hippie-Bewegung der 60er/70er Jahre hat es getan und seit einiger Zeit tun es auch Führungskräfte namhafter Unternehmen wie BMW oder Axel Springer: einfach dasitzen, atmen und achtsam den eigenen Geist beobachten.

Meditieren ist zum Trend geworden – in den USA zu einem regelrechten Boom. Radiosendungen, zahlreiche Artikel in bekannten Medien und Tagungen von etablierten Weiterbildungsanbietern zeugen davon.

Was geschieht bei der Meditation, und weshalb gehört Achtsamkeitsschulung für gewisse Führungskräfte zu ihrem Alltag wie das Zähneputzen? Welches Potenzial bergen diese alte buddhistische Praxis und die damit verbundene Lebenseinstellung für die Unternehmenskultur?

Ein Selbstversuch

Ich will selber erfahren, was passiert, wenn nichts passiert. Ich probiere es aus und setze mich für eine halbe Stunde hin. Das Handy auf lautlos, richte ich meine ganze Aufmerksamkeit auf meinen Atem und beobachte neugierig meinen Geist. Erstaunlich, dieser führt nach ein paar konzentrierten Sekunden ein Eigenleben, erinnert alte Geschichten, bewertet Begegnungen, entwickelt kreativ neue Ideen und plant erste Schritte zu deren Umsetzung. In meinem Kopf ist ganz viel los, und meine Aufmerksamkeit ist am surfen. Bei Jon Kabat-Zinn, Professor für Medizin und Begründer des MBSR-Programms (mindfulness based stress reduction), habe ich gelesen, dass es bei der Meditation nicht darum geht, das Denken zu unterdrücken. Vielmehr gleicht das Sichversenken der Natur des Ozeans, dessen Oberfläche bei Sturm hohe Wellen schlägt. Wenn man inmitten der stärksten Turbulenzen zehn Meter unter die Oberfläche taucht, findet man dort Stille. Meine Gedanken, Gefühle, Stimmungen und Erfahrungen also Wellen auf der Oberfläche der Wirklichkeit und die Gesamtheit meines Geistes etwas Tiefes, Stilles und Ruhiges wie die Tiefen des Ozeans. Ich merke, dass mir dieses Bild hilft, mein Hirngeplapper ziehen zu lassen und zu meinem Atem ins Hier und Jetzt zurückzukehren. In dieser Sekunde einfach nur sein – nur den Moment wahrnehmen, gewahr werden, was jetzt gerade ist. Ich erahne das Potenzial der Übung: Jeder Moment verändert sich. Jeder Gedanke und jedes Gefühl – auch schwierige Emotionen wie Ärger oder Neid – gehen vorbei. Indem ich einfach beobachte, ohne zu werten, erweitere ich meinen Raum zwischen Reiz und Reaktion. Ich stelle mir vor, dass mich dieser Raum kreativer werden lässt im Umgang mit schwierigen Situationen und Stress und ich dadurch bewusst und selbstbestimmt handle statt automatisch zu reagieren.

Wissenschaftliche Studien belegen positive Effekte der Meditation

Seit man in der Hirnforschung die bildgebenden Verfahren einsetzt, anhand derer man die Aktivität des Gehirns visualisieren kann, sind das naturwissenschaftliche Interesse und dadurch die Anzahl der Studien zur Meditation massiv angestiegen.

Auswirkungen Meditation

Quelle: Ulrich Ott, Meditation für Skeptiker, 2015, 152. Grafik: Franziska Ziegler

Der Meditationsforscher Ulrich Ott arbeitet seit 2001 daran herauszufinden, was im Hirn bei der Versenkung in Meditation genau passiert. Die Resultate erstaunen auf der ganzen Linie: Die regelmässige Fokussierung des Bewusstseins hat weitreichende Konsequenzen – sie verändert die Architektur des Gehirns, wirkt der Ausdünnung der Hirnrinde im Alter entgegen, hilft Stress zu reduzieren und stärkt das Immunsystem. Das Manager Magazin hat die zahlreichen positiven Auswirkungen in die folgenden vier Bereiche eingeteilt:

Studien Meditation

Quelle: Innenansichten eines Chefs in: manager-magazin.de, 19.05.2014. Grafik: Franziska Ziegler

Prof. Dr. Tanja Singer, Leiterin des Max Planck Instituts in Leipzig, forscht zur Frage, ob Mitgefühl und Fürsorge mit Achtsamkeitstraining gefördert werden können. Sie sagt, dass eine empathische Haltung trainierbar ist und Führungskräfte durch Meditation sozialer und mitfühlender, kooperativer und dadurch auch erfolgreicher werden. Der sich ausschliesslich rational verhaltende homo oeconomicus könnte also seine Präferenzen ändern und dadurch Unternehmen nachhaltig erfolgreicher gestalten – und das zum Wohl aller Beteiligten.

Fazit

Achtsamkeit hat durch die Hirnforschung ihre esoterische Aura definitiv abgelegt und ihre positiven Effekte sind wissenschaftlich in zahlreichen Studien belegt. Daher leuchtet es ein, dass Meditation heute, in einer Welt voller Ablenkungen, auch von hoch beanspruchten Führungskräften praktiziert wird. Doch wie können die daraus gewonnenen Erkenntnisse und Erfahrungen Eingang in den beruflichen Alltag finden und welche Konsequenzen hat die Achtsamkeitsschulung für unsere Gesellschaft?

Sogar McKinsey beschreibt in einem aktuellen Artikel in den «Insights» Achtsamkeit als grossen Vorteil für das Unternehmen. Ich befürchte allerdings, dass es in diesem Zusammenhang vor allem darum geht, mit Meditationsprogrammen die Arbeitsleistung noch mehr zu steigern. Der Beitrag redet von einem Produktivitätszuwachs von 62 Minuten pro Woche und einem «added value» von jährlich 3000 Dollar pro Mitarbeitendem.

Für mich stellt sich bei solchen Aussagen die Frage, mit welcher Absicht Menschen ihre geistigen «Investitionen» in die Arbeitswelt hineintragen. Manch einer findet durch Meditation für sich die persönliche Ruheinsel im harten Alltag. Die eigene Haltung zu ändern und dadurch die Unternehmenskultur nachhaltig mitfühlender, fürsorglicher und kooperativer zu gestalten, bleibt die grosse Herausforderung.

Es scheint auf den ersten Blick gewöhnungsbedürftig, sich jeden Tag 30 Minuten hinzusetzen und sich ausschliesslich auf den Atem zu fokussieren. Ich denke allerdings, ein Versuch ist es wert. Ganz im Sinne Bertold Brechts: Lassen Sie sich nichts einreden, probieren Sie es aus und schauen Sie selber nach.

Erzählen Sie uns von Ihren Erfahrungen!

Neugierig auf weiterführende Literatur? Hier einige meiner verwendeten Quellen:

  • Ulrich Ott, Meditation für Skeptiker. Ein Neurowissenschaftler erklärt den Weg zum Selbst. München 2015.
    ISBN: 978-3-426-30070-1
  • Jon Kabat-Zinn, Achtsamkeit für Anfänger. Freiburg 2014.
    ISBN: 978-3-86781-100-2
  • Jon Kabat-Zinn, Gesund durch Meditation. München 2013.
    ISBN: 978-3-426-87568-1

In meinem nächsten Beitrag schreibe ich über das Regulieren von Emotionen und wie wichtig dies für den Lernprozess ist.

Diesen Beitrag weiterempfehlen

Beitrag jetzt kommentieren

Name *
E-Mail (wird nicht publiziert) *
Ihr Kommentar *